AUFSTOCKUNG UMBAU TUCHFABRIK MÜLLER

2023 -

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Umbau / Aufstockung Alte Tuchfabrik Paradiesstraße in Kirchheim Teck

 

Ein wichtiges Stück Industriearchitekur des 19. und 20. Jahrhunderts an der Kirchheimer Lauter

Am nördlichen Rand von Kirchheim Teck, direkt an der Lauter gelegen, entstand mit der Tuchfabrik Müller zwischen Ende des 19. Und Anfang des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Stück Industriearchitektur. Geplant und gebaut wurde die Anlage von Philipp Jakob Manz, einem hoch angesehenen und bedeutenden Architekten seiner Zeit. Viele seiner Industriebauten, vor allem im süddeutschen Raum, zählen zu wichtigen Zeugnissen der deutschen Industriearchitektur in dieser Zeit.

 

Geschichte des Ortes bleibt ablesbar

Aufgrund der historischen Bedeutung, soll möglichst viel vom Bestand zu erhalten bleiben. Es handelt sich hierbei um den Spinnsaal an der Lauter und den übrig gebliebenen Gebäudeteilen der Fabrikationshallen. Die beiden Gebäude bilden zusammen mit dem kleinen Platz ein Gebäudeensemble. Lediglich das bestehende Walmdach des Hauptgebäudes und die nachträglich angebrachte Fluchttreppe aus Stahl werden zurückgebaut. Der ursprüngliche industrielle Charakter soll das Gesamtprojekt - auch nach der Aufstockung - weiterhin prägen.

 

Städtebau / Einbindung

Die bisher wichtige Bedeutung des Spinnsaals wird durch die Aufstockung nochmals deutlich betont. Direkt an der Lauter entsteht durch die neue Höhe des Gebäudes ein städtebaulicher Akzent, der deutlich den Übergang von Innenstadt zum Stadtrand markiert. Die Ufermauer bleibt unverändert. Auch der Mühlbach bleibt in seiner bisherigen Erscheinung und wird nicht überbaut. Das Gebäudeensemble wird wie bisher von Westen über die Paradiesstraße erschlossen. Man gelangt über einen kleinen Platz / Hof zu den Eingängen des Hauptgebäudes, der Shedhalle und zum Spielplatz. Der Hof bietet Platz für Fahrradabstellmöglichkeiten und für drei PKW-Stellplätze. An diesem öffentlichen und gut einsichtigen Bereich der Anlage sind im Erdgeschoss Flächen für Büro- oder Dienstleistungen vorgesehen. Auf der ruhigen Seite Richtung Osten liegt im Erdgeschoss eine Wohnung mit kleinem privatem Garten. Hier ist die Atmosphäre der Lauter direkt spürbar. Eine öffentliche Durchwegung des Geländes ist, wie bisher im Bestand, nicht vorgesehen.

 

Innere Organisation / Nutzungen

Das bisherige Treppenhaus auf der Ostseite wird durch ein zentrales Treppenhaus mit Aufzug in der Mitte des Gebäudes ersetzt. Dadurch ist zum einem die Aussteifung des später deutlich höheren Gebäudes gewährleistet – und zum anderen lässt sich so eine effiziente und wirtschaftliche Erschließung realisieren. Im Hauptgebäude werden 11 Wohnungen und eine Büroeinheit realisiert. Zuschnitt und Größe der Wohnungen sind sehr flexibel. Momentan variiert die Größe der Wohnungen zwischen ca. 60 m2 – ca. 130 m2. Die Wohnungen im Erd- und 1.Obergeschoss können mit einer Raumhöhe von ca. 3,6 – 4,0 m aufwarten. Im Erdgeschoss bleibt das historische gemauerte Kappengewölbe sichtbar.

In der Shedhalle entsteht eine großzügige Maisonette-Wohnung. Der Bereich über dem Mühlbach, an der Südgrenze zu der Reihenhausstruktur, wird mit einer Stahlkonstruktion geschlossen, die mit einem Holzdeck belegt wird. So wird der Bereich optisch aufgewertet und es entsteht eine gut nutzbare Terrasse. Ein Raum im Zentrum der Shedhalle, der als kleine Werkstatt oder Veranstaltungsraum genutzt werden kann, lässt sich der Wohnung oder dem Gemeinschaftsbereich zuordnen. Zusätzlich bietet die Shedhalle ausreichend Platz für Fahrräder, Abstellräume und das Mülldepot.

 

Räume für die Hausgemeinschaft

Für die Bewohner der Anlage entsteht in der Shedhalle an zentraler Stelle ein gemeinschaftlicher Raum, der vielfältige Nutzungen von einer Werkstatt über Atelier bis zu einem Co-Working Space und vielem anderen ermöglicht. Es kann ein Ort der Kommunikation und auch der persönlichen Entfaltung entstehen. Die Dachterrasse, die einen wunderbaren Blick zur blauen Wand der Alb und über die Stadt bietet, steht der ganzen Hausgemeinschaft, gut erreichbar über das Treppenhaus und Aufzug, zur Verfügung. Auch hier entsteht kann ein Ort zum Austausch der Bewohner entstehen, aber auch zum Gärtnern und Entspannen ist dieser Freiraum bestens geeignet.

 

Gebäudekonzept / Architekur

Der industrielle Charakter soll auch nach der Aufstockung des Hauptgebäudes die Gebäudestruktur prägen. So sollen die Außenfassaden erhalten und, wo nötig, überarbeitet werden.  Die klar angeordneten Rundbogenfenster werden durch hochgedämmte Fenster ersetzt und bleiben in ihrer prägenden Form erhalten. Mit einer hochwertigen Innendämmung der Wände kann dennoch im Bestand ein sehr guter energetischer Standard erzielt werden. Die Aufstockung der drei neuen Geschosse fügt sich harmonisch in den Bestand ein. Dies wird durch mehrere Maßnahmen erreicht:

Die Farbgebung der auf den ersten Blick sichtbaren Fassade nimmt die Brauntöne des Bestandes auf. Hierfür werden lackierte Bleche verwendet; aber auch voroxidierter Cortenstahl, der für die Brüstungen und Pflanztröge zum Einsatz kommt, hat diese warme Färbung. Dieses Material wirkt durch die Voroxidation in gewisser Weise „älter“, was einen weichen Übergang zur historischen Substanz des Bestandes schafft. Die horizontale Gliederung des Hauptgebäudes wird durch die auskragenden Umgänge aufgenommen und nochmals deutlich verstärkt.  Als Folge entsteht eine großzügige Struktur, die der Weite und der Lage des Grundstückes an der Lauter angemessen ist. Das regelmäßige Wechselspiel von Brüstungen aus durchlässigem Streckmetall und Pflanztrögen aus blickdichtem Flachstahl ergeben eine tektonische Struktur, die eine Analogie zum Aufbau der Mauerwerkswänden aufweist, und so eine optische Verbindung schafft. Durch die starke Skalierung wird dies vielleicht erst auf den zweiten Blick wahrgenommen. Die Strenge der regelmäßigen Struktur des Bestandes und der Aufstockung wird durch die sich ständig wechselnde Nutzung des Sonnenschutzes gebrochen, der bewusst in der Ebene der Brüstungen angeordnet ist. Das Verhalten der Nutzer zeigt sich so sehr deutlich im Wandel der Fassade. Nebenbei entsteht dadurch ein hochwertiger und geschützter Zwischenraum, der die Wohnungen funktional in den Außenraum erweitert. Eine weitere Aufwertung und ein spielerisches bzw. natürliches Element erhält die Fassade durch die konsequente Möglichkeit der Begrünung, die durch großzügige Pflanztröge gegeben ist. Ob das Gedeihen der Bepflanzung durch eine künstliche Tröpfchenbewässerung und Regenwasserspeicher auf dem Dach unterstützt wird, oder den einzelnen Nutzern komplett überlassen wird, ist in der weiteren Planung zu klären.

 

Nachhaltige Planung

Der Erhalt des Großteils der Gebäudesubstanz spart Ressourcen und der darin gespeicherten Energie. Die Aufstockung erfolgt in Holz – einem nachwachsenden Baustoff, der zudem eine große Menge an CO2 in seiner Konstruktion speichert. Die Tragkonstruktion, Außendämmung und Außenverkleidung werden in Holz ausgeführt. Durch die auskragenden Umgänge können einfache Holzfenster verwendet werden. Die Fassade wird baulich geschützt. Nachhaltigkeit bedeutet auch eine flexible Nutzung des Gebäudes. Diese ist dadurch gegeben, dass die tragenden Wände auf ein Minimum reduziert werden. Lediglich die Außenwände und die Mittelachse wird tragend ausgebildet. Im Zusammenspiel mit dem durchgehenden Umgang lassen sich so die Wohnungszuschnitte sehr flexibel gestalten und auch später noch einfach ändern. Die Umgänge mit der Möglichkeit der Begrünung schaffen im Sommer eine konstruktive Verschattung des Gebäudes und bieten somit einen hohen Wohnkomfort. Die Bedeutung des PKWs ist allein schon durch den Mangel an Platz untergeordnet. Ein Carsharing-Konzept in Verbindung mit einer großen Anzahl an Fahrrädern ermöglicht den Bewohnern flexible Mobilität bei geringem CO2 Ausstoß. Große Flächen stehen zur Stromerzeugung mittels Photovoltaik-Anlagen auf den optimal ausgerichteten Dächern zur Verfügung. Falls eine Gewinnung der Umweltenergie aus dem Mühlbach mittels Wärmetauschern und Wärmepumpen gelingt, wäre dies ein weiterer wichtiger Baustein für ein nachhaltiges Gebäudekonzept.

 

Gemeinschaftliche, lebendige Hausgemeinschaft

Die Gebäudestruktur bietet eine Vielfalt, die es lohnt in gemeinschaftlicher Weise entwickelt zu werden. So können beispielsweise Wohnungen mit individuellen Grundrissen entstehen. Das Potential der Shedhalle kann zum Nutzen von Vielen gehoben werden. Ein Atelier- oder Coworking-bereich für die Bewohner sind bereits jetzt angedacht. Eine Werkstatt könnte für kleine Filmabende oder kleine Feierlichkeiten genützt werden. Es bietet sich an, die Anlage in einer Bauherrengemeinschaft zu entwickeln und zu realisieren. Aus einer Bauherrengemeinschaft entwickelt sich im besten Fall eine lebendige Hausgemeinschaft, die es schätzt, in einem Gebäude mit einer bewegten Geschichte und zukunftsweisendem Konzept zu leben.